Reisen und Wandern

Hasen-Ahlers - Ein Original aus der Heide

Eines der bekanntesten Originale in unserem ganzen Nordwesten ist der Wilddieb Hasen-Ahlers aus dem Stühe, einem oldenburgischen Walde. Er hat die größte Zeit seines Lebens in einem erst vor kurzem abgebrannten Schafstall zugebracht, wovon wir hier eine getreue Abbildung geben. Unwillkürlich fragt man sich, wie es möglich ist, dass ein Mensch Winter und Sommer in einer solchen Behausung hat wohnen können, aber Hasen-Ahlers macht gar keinen Anspruch auf dem Komfort der Neuzeit und ist so abgehärtet, dass die Unbilden der Witterung nicht den geringsten Einfluß auf ihn ausüben. Nicht umsonst wird er von den Landleuten „de iserne Hinnerk“ (der eiserne Heinrich) genannt. Sein Naturempfinden ist noch unverfälscht, seine Bedürfnislosigkeit ebenfalls, und er hält es ganz mit Diogenes, dem es in seiner primitiven Tonne ja auch so wohl gefiel, dass er darob das Glück des mächtigsten Herrschers seiner Zeit verlachte. Ohne Philosoph zu sein, nimmt Hasen-Ahlers das Leben auch von der heiteren Seite, und nur, als das „Haus seiner Väter“, sein geliebter Schafkoben durch Unachtsamkeit in Flammen aufging, soll er geweint haben wie ein Kind. Hasen-Ahlers stammt von einem gut situierten Bauern ab und würde wie dieser sicher auch einmal in Ruhe seinen Kohl gebaut haben, wenn nicht ein unbezähmbarer Hang zur Wilddieberei, wie er vielfach bei den echten Naturmenschen zu finden ist, seine Pfade gekreuzt hätte. Diese Leidenschaft hat er nach seiner eigenen Angabe mit auf die Welt gebracht, denn schon als Junge hat er ihr gefrönt, und auch heute noch kann der angehende Siebzigjährige nicht von ihr lassen. Wohl fünfzigmal hat er für seine Wilddieberei in oldenburgischen Gefängnissen (meistens in der Strafanstalt zu Vechta) gebüßt, aber selbst schwere Strafverschärfungen haben den alten Jungen nicht verbessert. Mehrfach ist er von oldenburgischen und bremischen Jägern wenn er auf frischer Tat in ihren Revieren ertappt wurde, körperlich gezüchtigt worden, es war alles umsonst. Er kann sein immer wieder von neuem wiederholtes Versprechen, die Hasen und Rehe der Wälder in Ruhe zu lassen, nicht halten. Das erbeutete Wildbret suchte er unter der Hand oder auf den Märkten in Delmenhorst und Bremen an den Mann zu bringen. Für den Erlös kaufte er sich neuen Schießbedarf oder ein neues Gewehr, wenn das alte wieder einmal gerichtsseitig konfisziert worden war. Man erzählt sich, dass er verschiedene Gewehre im Stühe vergraben habe, deren Verstecke ihm allein bekannt seien. Wir sind weit davon entfernt, Hasen-Ahlers in Schutz zu nehmen, doch erscheinen seine Verbrechen immerhin in einem milderen Lichte, da bei den echten Naturmenschen noch vielfach die im Kommunismus wurzelnde Anschauung herrscht, dass das Wild des Waldes allen gehöre und von jedem erlegt werden dürfte.









Wenn unser Wilddieb für eine Freveltat gebüßt hat und der goldenen Freiheit zurückgegeben worden ist, geht es eine Zeitlang gut, und er entschließt sich schweren Herzens, ein ordentlicher Mensch zu werden. Dann hilft er seinen Menschen beim Mähen und Dreschen oder er verdingt sich als Handlanger zu allen möglichen Arbeiten auf dem Lande oder in der Stadt. Arbeiten kann der herkulische Mann für drei, aber auch sein Appetit ist auf drei Männer geeicht. Er ist mit einer tüchtigen Mahlzeit Reis und Kartoffeln zufrieden, aber es darf dabei nie der Speck fehlen, denn Speck ist seine Lieblingsspeise.

Mann erzählt von Hasen-Ahlers allerhand Anekdoten, und wir wollen zum Schluß eine davon zum Besten geben. Eines Abends begegnete ihm auf der Landstraße ein Handwerksbursche, der gern ein billiges Unterkommen für die Nacht gehabt hätte. Gastfrei wie Hasen-Ahlers ist, bot dieser dem Fremden seine eigene „Privatwohnung“ (den lustigen Schafstall) als Logis an, und gern willigte unser Handwerksbursche ein. Zwar kam ihm die Behausung etwas spanisch vor, aber müde, wie er war, machte er es sich in einem Heuhaufen - denn ein Bett besitzt Hasen-Ahlers nicht - bequem. Dieser hatte aber gerade am selben Tage ein Schaf geschlachtet, das ausgeweidet in seiner Hütte hing; das blutige Beil und Messer lagen auf einem Holzklotz daneben. Von alledem hatte unser Handwerksbursche in der Dunkelheit nichts bemerkt. Kaum hatte Hasen-Ahlers aber Licht gemacht, als unser Handwerksbursche, der glauben mochte, er sei in die Höhle eines Menschenfressers geraten, mit einem Schrei des Entsetzens in die dunkle Nacht hinausstürzte und laut um Hilfe rufend davonjagte. Sein unheimliches Abenteuer brachte er noch am selben Abend zur Anzeige, doch hatte er außer dem Schaden auch noch den Spott zu tragen.









Übrigens soll es mit Hasen-Ahlers jetzt ziemlich bergab gehen, seitdem die vielen Ausflügler ihre Allotria mit ihm treiben und ihm das Trinken beigebracht haben. Er hat von den Städtern das Geschäftemachen gelernt und gibt Vorstellungen, indem er gegen klingende Münze sein „Nationallied“ singt.

Niemann, L. (1904). Hasen-Ahlers. Ein Original aus der Heide. Reisen und Wandern, 2, 406-407.


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